«Der Weg ist nicht zu Ende, wenn das Ziel explodiert.» Heiner Müller
Das Langzeitprojekt Freie Republik HORA (FRH) ist das vielleicht utopischste HORA-Projekt aller Zeiten. 2013 wurde es ins Leben gerufen, als Gegenpol zu den Zusammenarbeiten von Theater HORA mit prominenten Gastkünstler*innen und Gruppen wie Jérôme Bel, Das Helmi, Monster Truck, Schauspielhaus Zürich oder Milo Rau. Hier standen im Gegensatz dazu im Zentrum radikal eigenständige szenische Aktivitäten der «geistig behinderten» Ensemblemitglieder, sowie die fortlau- fende Hinterfragung von Machtstrukturen und Perso- nenkult in der normalerweise herrschenden «Ordnung des Theaters».
Jetzt geht das Projekt FRH in seine abschliessende Phase. Der Titel dieser Phase (FRH6) — ENDSTATION ZUKUNFT – beschwört das Bild eines irgendwo im Weltall gestrandeten Raumschiffs herauf, Vision, Sehnsucht und Kapitulation, Möglichkeitssinn und Ende aller Möglichkeiten zugleich. In einer von den Mitgliedern des HORA-Ensembles erträumten und von Fidel Morf und Silvan Hillmann umgesetzten Endzeit-Szenographie werden, sozusagen im Zeitraffer, die unterschiedlichen Projekt-Phasen noch einmal reaktiviert, durchgespielt und erweitert und in Form von Kurz-Inszenierungen und Live-Film-Remakes, Per- formances, Publikumsgesprächen, Begegnungen und mehr präsentiert — und am Ende noch einmal zusammengeführt in einer zweiwöchigen Retrospektive sowie in einer Sonderausgabe des HORA-Magazins.
Die Veranstaltungen im Einzelnen:
Do 24. Januar, 19 Uhr
Der Anfang vom Ende (Eröffnungsabend)
Die offizielle Eröffnung — der letzten Projektphase von FREIE REPUBLIK HORA genauso wie der eigens für diese Projektphase entwickelten Raum-Installation, in der sich alle folgenden Projekte abspielen werden. Mit Apero, Performances, Reminiszenzen an die vergangenen Projekt- phasen, Ansprachen behinderter und nichtbehinderter Ensemblemitglieder, Food & Drinks sowie ersten Fundstücken einer Ausstellung zum FRH-Projekt.
Fr 1. März, 19 Uhr
Song Martin und am Ende steht ein Chor
(von Gianni Blumer, Nele Jahnke & Kolleg*innen)
Der Titel gibt Rätsel auf, das Bühnengeschehen nicht minder.
Zum Stand der Handlung am 15. Februar, knapp zwei Wochen vor der Uraufführung: Ein Mensch wird unter einer goldenen Plane geboren. Der Mensch fährt Schiff, lernt eine Frau kennen und weiss nicht, dass diese vergeben ist. Er will sie umbringen und bindet ihren Freund an einem Rohr fest. Doch zum Glück geht vorher das Schiff unter. Der Freund stirbt, die Frau überlebt. Der Mensch wächst glücklich und zufrieden auf und gewöhnt sich das Singen an. Als er erwachsen ist, geht er hinaus in die Welt und wird ein megaberühmter, sehr besonderer Sänger, der auf der ganzen Welt tourt und sehr viel Geld verdient. Er nennt sich Song Martin und ist 23 Jahre alt. In einem ersten Redenmarathon verkünden verschiedene Redner*innen die Zukunft von Song Martin: Er bewirbt sich um einen Praktikumsplatz im Casinosaal von Theater HORA. Er will dort Regisseur werden. Da er aber einen kleinen Sohn hat, hat er keine Zeit fürs Regieführen. Er beschliesst, selber ein Theater zu eröffnen, in dem sein Baby mitspielen kann. Song Martin beschliesst, draussen im Wald zu leben. Song Martin stirbt, und sein Sohn besucht sein Grab. Während HORA-Performer Noha Badir eine seiner legendären Lichtshows aufführt, führen seine Kolleg*innen ihren ganz persönlichen Sonnenuntergang vor. In einem zweiten Redenmarathon werden weitere Song-Martin-Visionen vorgestellt: Song Martin schläft und träumt von einer Zukunft als strahlender Mensch, in der alle anderen seine Songs singen. Er reitet durch die Welt, ist ein berühmter Star, kann tausend Lieder und hilft den Armen mit seiner Musik. Er ist aber auch ein Schlitzohr. Er stirbt, wird Skelett, lebt weiter im Himmel und wird ein Drache, der starke Brötchen formt, von denen alle essen. Er unterhält sich mit einem Klavier. (Fortsetzung folgt)
Der Ablauf ist «wie ein Rap von mir und Nele», verrät Ensemblemitglied und Tausendsassa Gianni Blumer, der sich mit der künstlerischen HORA-Co-Leiterin Nele Jahnke Autorschaft und Regie teilt. Die weiteren Konturen des Projekts liegen weiterhin (Stand 20.09.) noch in dichtem Nebel, Premiere ist am 1. März, es bleibt also spannend.
Mi 13., Sa 16., Mi 20., Sa 23., Mi 27. März, jeweils um 19 Uhr
Macht was ihr wollt und wie es euch gefällt
Das Format, mit dem das Projekt Freie Republik HORA im Sommer 2014 anfing: Erlaubt ist alles, was den Einzelnen und oder dem Kollektiv auf der Bühne gefällt — mit Ausnahme von Gewalt und körperlichen Übergriffen auf andere Personen. Und am Ende geben die Zuschauer*innen dazu ihr Feedback. Ein radikales Experiment zum Erproben von künstlerischer Autonomie im Theater.
Science Fiction Film Remakes
Mi 8. Mai, 19 Uhr
«Voyage sur la lune» (1902)
Regie: Cécile Creuzburg
Sa 11. Mai, 19 Uhr
«Metropolis» (1927)
Regie: Fabienne Villiger
Mo 20. Mai, 19 Uhr
«Barbarella» (1968)
Regie: Lucas Maurer
So 26. Mai, 19 Uhr
«Blade Runner 2049» (2017)
Regie: Nikolai Gralak
Zirka 20—30minütige, von HORA-Ensemblemitgliedern an nur einem einzigen Tag inszenierte, live gespielte und ab- gefilmte und direkt auf die Leinwand projizierte Remakes von vier Klassikern der Science-Fiction-Film-Geschichte. Zusätzlich zuerst Einführung in den Film durch den Regisseur und anschliessend Publikumsgespräch.
Fr 21 Juni, 19 Uhr
Der Mann, der von der Erde fiel
Regie: Matthias Grandjean
Ausserirdische Lebewesen — gibt es die? Wie sehen sie aus? Sind sie wirklich so schrecklich, wie sie in manchen Filmstreifen in Erscheinung treten — erbitterte Gegner der Erde, unheimliche Gestalten, nur darauf bedacht, den Menschen Übles zuzufügen?
Aus dem Matthias Grandjeans Skript zur HORA-Version einer Geschichte, die durch die Verfilmung von Nicolas Roeg mit David Bowie weltberühmt wurde:
Mann kommt von Planet auf Erde: Er ist der Vater, hat Frau und 2 Kinder und wohnt auf einem Planet. Seine Familie wohnt auf einer Sanddüne. Er hat eine schwarze Jacke an und eine Brille. Er steigt in eine Rakete. Es gibt einen ‹Peschel›. Er fliegt. Helles Licht scheint von einer Weißen Sonne. Er geht mit der Rakete zur Erde. Die Rakete stürzt ins Wasser. Es ist ein riesiger Fluss. Er steht oben auf dem Berg. Er beobachtet Züge, Autos, Menschen und Häuser. Er landet dort wo Geröll und alte Häuser sind. Er läuft einen Berg runter. Er läuft komisch. Er rutscht ab. Er ist von einem anderen Planet. Er geht in die Häuser hinein und geht in einen Lift. Er fährt mit dem Lift. Der Lift ist so schnell, dass im schlecht wird. Er bekommt Nasen- bluten. Er fällt auf den Boden des Lifts. Dort beobachtet er eine Frau. Der Lift geht auf. Die Frau zieht ihn am Fuß- gelenk raus. Die Frau hilft ihm. Sein Körper ist ganz leicht. Die Frau trägt ihn bis zur Tür und legt ihn aufs Bett. Er sagt: «Ich möchte Wasser trinken.» Er muss kotzen. Sie trinkt Alkohol. Sie nimmt ihre Fingernägel ab. Sie macht die Tür auf und geht. Die Tür geht von allein wieder zu. Er geht auf dem Trot- toir. Er legt sich auf eine Bank. Eine alte Frau geht in den Laden. Er steht auf. Er geht in den Laden. Er gibt einen Ring ab. Sie gibt ihm ganz viel Geld. Er geht raus. Er läuft durch die ganze Stadt. Es gibt 2 Männer. Ein Mann schlägt einen anderen Menschen. Der Mensch fliegt ins Fenster. Dann liegt der Mensch am Boden. Dann steht der Mensch auf. Dann schlägt der Mann noch mal. Das Fenster geht kaputt. Der Mensch fällt vom Haus runter. Der Mensch ist tot. Auf der Straße fährt ein Auto. Ein Zug kommt. Das Auto stoppt. Das Auto fährt auf der Straße bis der Mann aussteigt. Und dann ist er am gleichen Ort, den er schon kennt. Es ist der Hügel und der Fluss. Es gibt dort auch ein Restaurant, in dem er ein Glas Wasser trinkt. Dann trinkt er ein Glas Alkohol mit Eis- würfeln. Seine Kappe fällt runter. Ende.
Ein Musiktheater frei nach dem Roman «Spion aus dem All» von Walter Tevis, und zugleich das Regiedebüt von HORA-Veteran Matthias Grandjean. Dramaturgie: Michael Elber.
Freie Republik HORA — Die Retrospektive
So wie im Hollywood-Kino kurz vor dem Tod angeblich noch einmal das gesamte Leben im Schnelldurchlauf an einem vorbeizieht, werden in den letzten zwei Wochen, bevor das FRH-Projekt im Weltall verglüht, noch einmal sämtliche Projektphasen seit 2014 re-enacted und live dem Publikum präsentiert. Am letzten Abend dann gibt es eine Beerdigungszeremonie...
03.07.2019 — FRH1
«Macht was ihr wollt und wie es euch gefällt» (2013–14)
04.07.2019 — FRH2
«Beatrice Egli» in zwei Versionen (2015)
05.07.2019 — FRH3
«Randensaft Horror» & Doku DisAbility on Stage (2016)
06.07.2019 — FRH4
«Gott» (2017)
10.07.2019 — FRH Spezial
«Kontaktkiller» (2018)
11.07.2019 — FRH Spezial
«Katastrophenfilm» (2018)
12.07.2019 — FRH5–6
«Song Martin — und am Ende steht ein Chor» (2019)
14.07.2019 — FRH5–6
«Der Mann der von der Erde fiel» (2019) + Beerdigung
Beginn jeweils 19.00 Uhr
Von und mit
Noha Badir, Remo Beuggert, Gianni Blumer, Matthias Brücker, Marcel Bugiel, Cécile Creutzburg, Michael Elber, Caitlin Friedly, Robin Gilly, Simone Gisler, Jasmin Gloor, Nikolai Gralak, Matthias Grandjean, Julia Häusermann, Sara Hess, Nele Jahnke, Filomena Krause, Lucas Maurer, Serafin Michel, Tiziana Pagliaro, Fiona Schmid, Amadea Schütz, Fredi Senn, Elianne Stroomer, Simon Stuber, Fabienne Villiger, Sabina Winkler und Weitere
Rauminstallation
Fidel Morf & Silvan Hillmann
Technische Einrichtung
Robert Meyer
Produktionsleitung
Adrian T. Mai
Produktion
Theater HORA — Stiftung Züriwerk
Administration
Conny Marinucci
Gesamtleitung
Curdin Casutt
Design
Atelyeah Marcel Freymond
Gefördert durch
Stadt Zürich Kultur, Stiftung Symphasis, Migros Kulturprozent, Kulturpark Zürich-West, Förderverein Theater HORA, Stiftung Züriwerk